An die
Ministerin für Wirtschaft,
Industrie, Klimaschutz und Energie
des Landes Nordrhein-Westfalen
Frau Mona Neubaur

Ahaus, den 9.11.2022

Sehr geehrte Frau Ministerin,

Ihrer Koalitionsvereinbarung vom Juni diesen Jahres zufolge will sich die Landesregierung für eine Minimierung von Atomtransporten einsetzen. Insbesondere will sie die Option des Neubaus eines Zwischenlagers in Jülich für die ausgedienten Brennelemente (BE) des stillgelegten AVR vorantreiben. Wir haben diese Vereinbarungen begrüßt, da damit die anderen Optionen (Transport nach Ahaus oder gar in die USA) überflüssig würden.

In der Zwischenzeit sind jedoch einige Verlautbarungen bekannt geworden, die bei uns für Unruhe sorgen und Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Koalitionsvertrages aufkommen lassen:

  1. Zwar ist die Option des Exports von AVR-BE in die USA mittlerweile auch von Seiten der JEN aufgegeben worden. Das begrüßen wir ausdrücklich. Jedoch wollen die beteiligten Bundesbehörden die Verbringung des Jülicher Atommülls nach Ahaus durchsetzen, da dies die billigere und zudem schneller umzusetzende Variante gegenüber einem Neubau in Jülich sei – so in einem Bericht vom 20. September an den Haushaltsausschuss des Bundestages (vgl. dazu z.B. „Aachener Zeitung“, 06.10. und 08.10.22). Mit dem Transport nach Ahaus wird demnach schon ab 2024 gerechnet; die Option eines Neubaus in Jülich solle dann „so bald wie möglich“ gestrichen werden.
    Diese Auffassung ist aus unserer Sicht äußerst kurzsichtig. Was die zeitliche Dimension angeht, lässt sie außer Acht, dass die Einlagerung der AVR-BE in Ahaus beklagt wird und der Ausgang dieses Verfahrens zumindest offen ist. Außerdem scheinen uns die von Jülicher Seite immer wieder vorgetragenen 10 Jahre, die ein Neubau in Jülich mindestens dauern würde, deutlich übertrieben zu sein. Sie kommen allenfalls zustande, wenn man die schon jahrelang andauernde Verzögerungstaktik des FZJ in die Rechnung mit einbezieht. Und was die Kosten anbetrifft: Ein Transport nach Ahaus wäre vielleicht billiger als ein Neubau in Jülich. Jedoch wird bei dieser Rechnung völlig außer Acht gelassen, dass auch nach einer eventuellen Verbringung der AVR-BE nach Ahaus FZJ/JEN Eigentümer und für die BE verantwortlich bleiben. Diese müssen vor einer späteren Endlagerung konditioniert werden. Das könnte aber nicht in Ahaus erfolgen, weshalb zumindest weitere Transporte in der Zukunft nötig wären. Zudem muss für diese Konditionierung ein entsprechendes Verfahren erst entwickelt werden. Und dafür ist ebenfalls das FZJ verantwortlich. Beim Besuch des NBG in Ahaus bestätigte die BGZ ausdrücklich, dass sie nur für die endlagergerechte Konditionierung von Brennelementen aus Leistungsreaktoren zuständig ist, nicht für die Kugel-BE des AVR. D.h. Jülich ist in jedem Fall für die endlagergerechte Konditionierung und Verpackung der Kugel-BE verantwortlich!
    Diese Verantwortung besteht unseres Erachtens nicht nur in rechtlichem, sondern auch im ethischen Sinne: Verantwortungsbewusste Wissenschaft muss für die Folgen ihrer Tätigkeit selbst gerade stehen und darf sich dem nicht durch Abtransporte entledigen, nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Dies alles spricht aus unserer Sicht eindeutig dafür, dass die AVR-BE in Jülich bleiben und sich FZJ/JEN dort ihrer Verantwortung stellen. Wir bitten Sie daher dringend darum, alles in Ihrer Möglichkeit stehende zu tun, um die Absichtserklärung aus Ihrer Koalitionsvereinbarung umzusetzen! Das Land NRW hat entscheidenden Einfluss auf den weiteren Verbleib der Jülicher Brennelemente, die jahrelange Verweigerungshaltung des FZJ bezüglich eines Lagerneubaus am Ort darf nicht zum Erfolg führen!
  2. Ein weiterer drohender Transport macht uns Sorge: Bekanntlich besteht auch die Absicht, die Brennelemente aus dem FRM II in Garching nach Ahaus zu bringen. Wir wissen, dass die NRW- Landesregierung dabei nicht dieselben Kompetenzen hat wie bei den AVR-BE aus Jülich. Beunruhigt hat uns jedoch die in Zusammenhang mit den FRM II-BE von Ihrer Staatssekretärin Dr. Krebs während der NBG-Tagung am 13./14.09. in Ahaus getroffene Aussage, dass getroffene Abmachungen eingehalten werden müssen. Sie bezog sich dabei offenkundig auf in früheren Jahren getroffenen politischen Vereinbarungen, die BE aus Forschungsreaktoren in Ahaus zu lagern, und auf Verträge, die die TU München mit den Betreibern des Lagers in Ahaus geschlossen hat. Dabei ist aber zumindest zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt dieser Vereinbarungen und Verträge von ganz anderen Umständen ausgegangen werden konnte und musste: Laut Betriebsgenehmigung von 2003 waren bekanntlich die Betreiber des FRM II verpflichtet, den Reaktor spätestens bis 2010 auf niedriger angereichertes Uran umzustellen. Diese Auflage wurde aber nicht eingehalten. Auch eine Verlängerung der Umstellungsfrist bis 2018 blieb ohne Folgen. Dennoch wird der Reaktor weiter betrieben. Weder die Betreiber noch die bayrische Landesregierung als für die Aufsicht zuständige Instanz hat sich also an bindende Abmachungen gehalten. Von daher kann im Zusammenhang mit den beabsichtigten Transporten nach Ahaus nicht die Einhaltung von Vereinbarungen reklamiert werden. Eher umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wegen der Nichteinhaltung der Betriebsbestimmungen (3. TEG) für den FRM II müsste nicht nur der Betrieb des Reaktors, sondern auch die Entsorgung seiner Brennelemente neu bewertet werden. Dabei gilt für die dasselbe wie für die Jülicher AVR-BE: Sie sind nicht endlagerfähig, sie müssen vorher abgereichert und konditioniert werden. Auch dafür existiert bisher kein Verfahren. Zuständig dafür ist die TU München, und deshalb sollten die BE auch ortsnah dort gelagert werden. Der technische Direktor des FRM II, Dr. A. Pichlmaier, hat übrigens im Gespräch mit uns während der NBG-Tagung in Ahaus in aller Offenheit dargelegt, dass aus seiner Sicht eine ortsnahe Lagerung der FRM II-BE, z.B. beim AKW Isar II, durchaus sinnvoll wäre. Eine Transitgenehmigung durch viele Bundesländer sei zudem nur sehr schwer zu erhalten. Wir bitten Sie daher, sehr geehrte Frau Ministerin, auch bezüglich der FRM II-BE darum, sich für die Realisierung der im Koalitionsvertrag verankerten Absicht, Atomtransporte möglichst zu verhindern, einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Hartmut Liebermann
Felix Ruwe

Sprecher der BI-Ahaus

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