Pressemitteilung

Ahaus, den 05. September 2018

In einem eindringlichen Schreiben an die Bundesministerin Karliczek fordert die BI-Ahaus mehr Verantwortung von den Reaktorbetreibern in Jülich und den Wissenschaftlern in München/Garching. Beide Atomreaktoren werden mit erheblichen Geldern des Forschungsministeriums unterstützt.

Die Jülicher Reaktorbetreiber finden, dass der Atommüll in Jülich die Spitzen-Forschung bedroht, nicht aber die Menschen in Ahaus und im Münsterland. Ein ähnliches Verhalten legen auch die Forscher des FRM II in München/Garching an den Tag. Sie hatten mit der Inbetriebnahme des Reaktors die Auflage, einen Prozess zum Abreichern (Entschärfen) des hochangereicherten Atommülls zu entwickeln. Außerdem sollte bis 2010 der Reaktor auf niedrig angereichertes Uran umgerüstet werden. Nachdem diese Frist verstrichen war, wurde 2018 erneut als Enddatum für den Betrieb mit hochangereichertem Uran angesetzt. Die Betreiber handeln genau entgegen der Auflagen und Vorschriften. Sie haben neues hochangereichertes Uran in Russland beschafft, da die USA nicht bereit sind diesen Reaktor mit waffenfähigem Uran zu beliefern.

Die Krönung mangelhafter Verantwortung wurde nun von der Bayrischen Staatskanzlei veröffentlicht, die nun behauptet, man fühle sich nicht mehr an die Auflagen bezüglich der Abreicherung und der Umrüstung des Reaktors von hoch angereichertem Uran auf niedrig angereichertes Uran gebunden. Der Hochangereicherte atombombentaugliche Atommüll soll zunächst einmal nach Ahaus transportiert werden.

„Da soll er dann total unsicher, aber weit über das Ende des BZA (2036) hinaus gelagert und bewacht werden! Uran für fünf Hiroshima Atombomben in einem Behälter! Ein unglaubliches Verhalten der Bayern. Wir überlegen uns schon, wie wir unseren Widerstand gestalten, wenn uns die Regierungen vormachen, wie wertlos Auflagen, Vorschriften und Enddaten überhaupt sind“, so Felix Ruwe, der Pressesprecher der BI „Kein Atommüll in Ahaus“ e.V.

Mit freundlichen Grüßen

Felix Ruwe

02561 6577

 


 

Der Brief im Wortlaut:

An die
Bundesministerin
für Bildung und Forschung
Frau Anja Karliczek

Heinemannstr. 2
53175 Bonn

Ahaus, den 04.09.2018

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Karliczek,

wir wenden uns heute wegen zweier Probleme an Sie, von denen wir hier im Münsterland massiv betroffen sind und die beide mit Ihrem Zuständigkeitsbereich zu tun haben. Vermutlich ab kommendem Jahr ist geplant, die ausgedienten Brennelemente aus zwei Reaktoren in das Ahauser Transportbehälterlager (TBL-A) zu bringen, und zwar die aus dem stillgelegten Versuchsreaktor AVR der ehemaligen Kernforschungsanlage Jülich, die sich heute „Forschungszentrum Jülich(FZJ)“ nennt und die Entsorgungsproblematik auf eine eigene Gesellschaft ausgelagert hat („Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen“, JEN), sowie die aus dem noch laufenden Forschungsreaktor der TU München, FRM II in Garching.

Der FRM II wird durch Ihr Ministerium auf verschiedenste Weise finanziell gefördert. Der AVR war zwar kein Forschungsreaktor, dennoch war und ist das BMBF entscheidender Geldgeber; heute wird JEN vom BMBF zu 90% finanziert, in seinem Aufsichtsrat spielt das BMBF eine entscheidende Rolle.

Die Verschiebung des Atommülls von beiden Standorten nach Ahaus ist in keinem Fall sachgerecht. Ihre Umstände und Hintergründe stellen darüber hinaus das Verantwortungsbewusstsein der beteiligten Forschungseinrichtungen und ihrer Geldgeber in hohem Maße in Frage. Um dies zu konkretisieren:

Die Verbringung der AVR-Brennelemente aus Jülich nach Ahaus ist in mehrfacher Hinsicht unsinnig:

  • Die dafür notwendigen Transporte würden angesichts der heute notwendigen Sicherungsmaßnahmen enorme Kosten verursachen.
  • Die Genehmigung für das Zwischenlager Ahaus endet im Jahr 2036. Eine Verlängerung der Genehmigung kommt nicht infrage, da das Lager schon nach heutigen Kriterien (Brunsbüttel-Urteil) nicht mehr genehmigungsfähig wäre. Daran ändern auch die gegenwärtig laufenden Nachrüstungsmaßnahmen nichts. Ein Endlager steht aber mit Sicherheit im Jahr 2036 noch nicht zur Verfügung, so dass ein weiterer Transport nötig wäre.
  • Ein direkter Abtransport von Ahaus in ein irgendwann zur Verfügung stehendes Endlager wird aber auch deshalb nicht möglich sein, weil die Kugel-Brennelemente (BE) aus Jülich nicht direkt endlagerfähig sind. Dies hängt mit der komplizierten Struktur der Kugeln, in denen Brennstoff und Moderator-Material kombiniert sind, zusammen, aber auch mit dem Tatbestand, dass niemand genau sagen kann, in welchem Zustand sich die BE in den Castor-Behältern befinden und was sich überhaupt genau in den Behältern befindet – eine Folge der schlampigen Dokumentation durch die ehemaligen Betreiber des AVR. Die Castoren müssten also in jedem Fall geöffnet und die BE bearbeitet werden.
  • Eine solche Bearbeitung, welches Verfahren auch immer dafür gewählt wird, könnte nicht in Ahaus stattfinden, weil dort durch den Ansiedlungsvertrag der Stadt Ahaus mit den Betreibern des Lagers die Be- und Verarbeitung von Brennelementen sowie Errichtung und Betrieb einer „Heißen Zelle“ ausgeschlossen sind.
  • Im Falle einer Verbringung des Jülicher Atommülls nach Ahaus müsste also in jedem Fall mindestens ein, vermutlich mehrere weitere Transporte stattfinden, was mit zusätzlichen Kosten und Risiken verbunden wäre.
  • Für die notwendige Bearbeitung der Kugel-BE sind verschiedene Techniken denkbar, alle mit Vor- und Nachteilen. Entscheidend ist aber, dass eine solche Technik gegenwärtig an keinem Standort in Deutschland zur Verfügung steht und auch noch nicht entwickelt worden ist. Dies ist ein gravierendes Versäumnis der Betreiber des AVR, die sich niemals in verantwortbarer Weise um die Konsequenzen ihrer Arbeit gekümmert haben. Heute versuchen sie, sich der problematischen Abfälle ihrer Arbeit durch Abtransport an einen anderen Ort zu entledigen, um das „Image“ eines modernen Forschungsstandorts Jülich nicht zu beeinträchtigen, wie es ein Aufsichtsratsmitglied des FZJ bereits vor 7 Jahren formuliert hat. Dies ist aus unserer Sicht kein Beispiel für gesellschaftlich verantwortliche Wissenschaft, sondern das genaue Gegenteil.

Dass sich die Verantwortlichen in Jülich gegenwärtig in einer prekären Situation befinden, weil die bestehende Lagerhalle nicht den Anforderungen für eine geordnete, insbesondere erdbebensichere Lagerung entspricht und deshalb schnellstmöglich geräumt werden muss, ist uns bekannt. Diese Situation ist aber seitens des FZJ selbst verschuldet: Bereits mit der Erteilung der Genehmigung für das Lager im Jahr 1993 war klar, dass die Genehmigung im Jahr 2013 enden würde. Spätestens seit Bekanntwerden neuerer Untersuchungen zur Erdbebenproblematik um das Jahr 2001 herum war auch klar, dass mit einer Verlängerung der Genehmigung für die bestehende Lagerhalle über 2013 hinaus nicht zu rechnen war. Unternommen worden ist aber seitens des FZJ (und übrigens auch der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden) nichts. Unter diesen Umständen kann es jetzt nicht darum gehen, die schnellstmögliche Leerung des ohnehin schon seit 4 Jahren nicht mehr genehmigten Lagers in Jülich zu erreichen ohne Rücksicht auf die Sinnhaftigkeit der Verbringung an einen anderen Ort, sondern darum, die vernünftigste Lösung zu finden.

Noch problematischer wäre die Verbringung der Brennelemente aus dem FRM II in Garching nach Ahaus:

  • Die Brennelemente aus dem FRM II sind auch nach ihrer Entnahme aus dem Reaktor noch mit ca.87% U235 hochangereichert und damit waffenfähig. Das Material aus einem einzigen Castor-Behälter des geplanten Typs MTR-3 würde ausreichen, um mindestens 1, nach Schätzungen mancher Experten sogar bis zu 5 Atombomben vom Hiroshima-Typ herzustellen, und das mit denkbar einfachsten technischen Mitteln.
  • Das TBL Ahaus entspricht aber nicht dem Sicherheitsstandard für die Lagerung von Waffenmaterial, sondern allenfalls für radioaktiven Abfall aus ziviler Nutzung, so das vom Nationalen Begleitgremium in Auftrag gegebene Gutachten des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften (ISR).1 Ahaus würde somit zu einem bevorzugten Ziel für terroristische Gruppen welcher Herkunft auch immer.
  • Auch diese inakzeptable Situation ist zurückzuführen auf verantwortungsloses Handeln von Wissenschaftlern und politisch Verantwortlichen: Bereits seit 1978 gibt es internationale Vereinbarungen zur Umstellung von Forschungsreaktoren auf niedrig angereichertes Uran. Parallel dazu wurden Verfahren entwickelt, um die angestrebten Forschungszwecke auch mit niedriger angereichertem, aber dafür höher verdichtetem Uran, zu erzielen. Diese schlossen auch die Erzeugung medizinisch notwendiger Isotope ein. Weltweit wurden nach und nach fast alle Forschungsreaktoren, umgestellt, auch in Deutschland – mit Ausnahme des FRM II! Bemühungen der USA seit 1989, auch die TU München zur Umplanung des damals neu geplanten Reaktors zu bewegen, scheiterten. Die USA waren daher nicht mehr bereit, Brennstoff für den FRM II zu liefern. Trotzdem hielten TU München und die politisch Verantwortlichen an der alten Risikotechnologie fest. Das hochangereicherte Uran ließ man sich nun von Russland liefern.
  • Als der FRM II im Jahr 2004 in Betrieb ging, gab es wenigstens noch die Auflage, den Betrieb bis spätestens Ende 2010 auf niedrig angereichertes Uran umzustellen. Dieser Termin wurde nicht eingehalten, weil sich die Betreiber des FRM II nicht darum kümmerten. Sie erhielten dennoch eine Fristverlängerung bis Ende 2018. Auch dieser Termin wird nicht eingehalten werden. Anstatt nunmehr endlich den Betreibern die Genehmigung für den Betrieb des FRM II zu entziehen und den Reaktor stillzulegen, hat die bayrische Staatsregierung jetzt einfach die Auflage der Abreicherung aus der Betriebsgenehmigung gestrichen bzw. sie für rechtlich irrelevant erklärt!
  • Die Reaktorsicherheitskommission hat bereits 2001 im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für den FRM II dringend empfohlen, die ausgedienten Brennelemente des FRM II vor ihrer Endlagerung zu konditionieren und sie mit niedrig angereichertem Uran zu mischen, um die Unterkritikalität langfristig zu gewährleisten. Bis heute ist noch nicht einmal damit begonnen worden, ein entsprechendes Verfahren zu entwickeln. Das Bundesumweltministerium hält dies sogar langfristig für überflüssig, da noch nicht feststehe, wann und unter welchen Bedingungen ein Endlager jemals in Betrieb gehen werde.2 Aber der Bevölkerung in Ahaus soll dieses Risiko über Jahrzehnte zugemutet werden!

Sehr geehrte Frau Karliczek, als Ministerin für Bildung und Forschung sind Sie nicht für atomrechtliche Genehmigungen zuständig. Jedoch müsste es Ihr Anliegen sein, dass Wissenschaft und Forschung in Deutschland sich an gewissen ethischen Mindeststandards orientieren und ihre gesellschaftliche Verantwortlichkeit wahrnehmen. In beiden vorliegenden Fällen sehen wir solche Prinzipien auf fundamentale Weise verletzt. Wissenschaft, die die möglichen Folgen ihres Tuns außer Acht lässt und sich anschließend um die problematischen Resultate ihrer Forschungstätigkeit nicht mehr kümmert, sondern sie anderswo entsorgen will ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesellschaft, ist nach unserer Auffassung nicht akzeptabel. Hier ist die Bundesforschungsministerin, auch in ihrer Rolle als Aufsicht und Geldgeberin, gefragt. Wir bitten Sie daher dringend, in geeigneter Weise auf die Entscheidungen zum weiteren Umgang mit den Brennelementen aus Jülich und Garching einzuwirken: Nach unserer Auffassung ist die einzig vernünftige Lösung in beiden Fällen die, dass für die ausgedienten Brennelemente eine geeignete Lagermöglichkeit an den Standorten ihrer Entstehung, also in Jülich und Garching, geschaffen wird, und dass die für ihre Entstehung verantwortlichen wissenschaftlichen Einrichtungen dort Verfahren zur sicheren und endlagergerechten Konditionierung entwickeln. Wir im Münsterland sind jedenfalls nicht bereit, den Kopf dazu hinzuhalten.

Mit freundlichen Grüßen,

Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“
i.A.: Hartmut Liebermann
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P.S.:
Wir werden dieses Schreiben auch anderen politischen Mandatsträgern in Bund, Land NRW und der Stadt Ahaus zur Kenntnis bringen.


1 www.nationales-begleitgremium.de/SharedDocs/Downloads/DE/ISR-Kurzgutachten-Forschungsreaktor-München-II.html

2 Antwort des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 13.07.18 auf eine „Kleine Anfrage“ des Bundestagsabgeordneten Hubertus Zdebel aus Münster, Antworten 6 und 7.

Alle URLs entsprechen dem Stand vom 04. September 2018.

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